Frau Dr. S. lebt seit 18 Jahren in Deutschland. Bereits in ihrem Ursprungsland hat sie als Ärztin gearbeitet und in Deutschland ihr Staatsexamen gemacht. Mit uns spricht sie über ihre Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, über Reaktionen auf ihr Kopftuch und über ihre Wünsche.

Liebe Frau Dr. S.,1 erst einmal herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Ich habe Ihre beeindruckende Vitae mit Staunen gelesen, würden Sie sich dennoch kurz für unsere LeserInnen vorstellen?

Ja gerne. Ich bin Mitte 40, komme aus einem arabischen Land und bin seit 18 Jahren in Deutschland. Schon in meiner Ursprungsheimat habe ich als Ärztin gearbeitet und habe hier in Deutschland mein Studium mit dem Staatsexamen beendet. Ich habe in Folge meine Doktorarbeit geschrieben und meine Approbation erhalten. Nach meiner Post-Doc Stelle habe ich zirka zehn Jahre in der Industrie gearbeitet und war hier zuletzt als Senior Scientist an einer Universität tätig. Meine derzeitige Stellensuche ist dagegen nicht einfach. Ich bewerbe mich oft und viel auf Stellenausschreibungen. Ich bekomme auch viele Einladungen zu Vorstellungsgesprächen, aber bisher hat es nicht funktioniert.

Was glauben Sie, woran es liegt, dass Sie zwar viele Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhalten, aber nicht eingestellt werden?

Es gibt wohl verschiedene Gründe. Zum einen wohl meine Sprache. Ich denke, das spielt eine große Rolle. Ich bin auch schon über 40 Jahre alt und bekomme besonders in der Industrie keine Chancen. Hier wurde ich noch nie eingeladen. Die wollen eher junge Leute. Bei Ärzten spielt das Kopftuch wohl aber auch eine große Rolle. Wegen Corona ist der Bewerbungsprozess in diesem Jahr zudem eh schwieriger.

Haben Sie dadurch Ihr Bewerbungsverhalten verändert?

Ja, ich verschicke nun nicht mehr nur meine Bewerbungen, sondern habe angefangen, dort anzurufen. Ich bitte dann darum, mit der Leitung sprechen zu dürfen. Zweimal wurde ich daraufhin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Einmal hatte ich hierbei allerdings vergessen zu erwähnen, dass ich Kopftuch trage. Der Chef war wirklich nett, ebenso, das Team. Ich hatte nur einfach dieses Gefühl, dass er Probleme mit meinem Kopftuch hat. Sein Blick deutete irgendwie darauf hin. Ich habe ihn einfach gefragt. Er meinte zwar, er habe kein Problem damit, er würde mich auch nochmal einladen wollen. Stattdessen schrieb er die Stelle aber nochmal neu aus. Natürlich kam mir der Gedanke, dass er doch Schwierigkeiten mit meinem Kopftuch haben könnte. Letztlich weiß ich das aber ja nie…

Glauben Sie, wir haben in Deutschland immer noch Schwierigkeiten mit dem Tragen von Kopftüchern?

Ich bin in einer Gruppe von Frauen, die nicht in Deutschland studiert haben. Die meisten von ihnen tragen eigentlich auch Kopftuch. Von denen handhaben es viele mittlerweile aber so, dass sie entweder kein Bewerbungsfoto mitschicken und über das Tragen ihres Kopftuchs im Vorstellungsgespräch sprechen. Andere aber nehmen das Kopftuch mittlerweile auch schon ab. Entweder schon zum Vorstellungsgespräch oder aber wenn der Chef oder die Chefin darum bittet. Wenn wir das nicht so machen, dauert es einfach sehr lange, bis wir eine Stelle finden. Ich telefonierte z.B. einmal mit einem Chef und am Telefon versicherte er mir, dass er kein Problem mit meinem Kopftuch hätte. Während des Vorstellungsgesprächs fragte er mich dann allerdings doch, ob ich denn auch bei der Arbeit Kopftuch tragen würde, ob ich es freiwillig trage oder meine Familie mich zwingen würde. Ich meinte dann nur, dass ich alt genug sei, es für mich zu entscheiden, ob ich es trage oder eben auch nicht. Er wollte es sich nochmal überlegen und nach zwei Tagen bekam ich die Absage mit dem Hinweis, dass er sich für jemand anderen entschieden habe.

Auch Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen mit Kopftuch sehr viel mehr Bewerbungen verschicken müssen als Frauen ohne Kopftuch gleich deren identischen Qualifizierungsniveau. Hat Sie denn jemand schon einmal mit dem Grund nicht eingestellt?

Nein, das nicht. Sie sagen immerzu, dass sie sich für jemand anderen entschieden haben. Bisher bekam ich nur Rückmeldung von den PatientInnen. Viele Fragen beziehen sich auf das Tragen an sich: Wie das Kopftuch gebunden wird oder ob ich es auch zu Hause trage. Einmal wurde ich gefragt, ob ich überhaupt Haare habe (lacht). Da war allerdings auch einmal einer, der mich richtig angeschrien hat. Ich hatte schon so dieses Gefühl und habe ihn außerordentlich zuvorkommend beraten, umfangreich aufgeklärt und alle Aspekte erläutert. Irgendwas stimmte aber nicht, er schaute mich immer wieder so an, bis er mich am Ende anschrie: „Was machst Du in unsrem Land?“. Er wurde immer lauter und lauter. Oder dann gab es da eine gut betagte Frau, die von vornherein sagte, dass sie nicht von mir behandelt werden möchte. Ich fragte sie damals, warum und sie antwortete: „Weil Du das trägst. Öffnest Du Dein Kopftuch, dann komme ich auch zu Dir.“ Aber ich kann das verstehen. Und letztlich waren es ja auch nur diese zwei Situationen in all den Jahren.

Finden Sie diese Reaktionen nicht ungerecht?

Naja, ehrlich gesagt, es sagt mir ja niemand den Grund. Niemand spricht mit mir hierüber, sondern sie nennen andere Gründe. Und es geht ja eben auch um die Patienten. Es ist schwer für eine Leitung, wenn PatientInnen nicht zu mir kommen möchten. Es geht schließlich um viel Geld. In dem Fall mit der Frau habe ich daher sofort meine Kollegin angerufen, damit sie die Patientin übernimmt. Es wäre sonst nicht gut gewesen für die Praxis…

Aber es ist doch auch nicht gut für Sie…

Ja… aber das ist normal. Ich kenne das ja auch z.B., wenn ich Bahn fahre. Ich vermeide da einfach gerne die Konfrontation. Aber jeder hat eben auch seine eigene Meinung und Meinungsfreiheit ist ein so hohes Gut. Ich denke immer: wenn ich erstmal arbeite und die Leute sehen, dass ich wirklich gut arbeite, dann spielt meine Herkunft und mein Kopftuch eben keine Rolle mehr.

Gibt es denn etwas, was Sie sich wünschen würden?

An der Universität, wo ich zuletzt gearbeitet habe, hatte ich es zu Beginn auch nicht einfach. Dann konnte ich aber zeigen, dass die Frau mit Kopftuch wirklich gut ist und heute arbeiten drei weitere Frauen mit Kopftuch dort. Und auch meine Tochter beendet nun ihr Medizinstudium und bewirbt sich gerade. Sie trägt auch Kopftuch. Ich hoffe einfach sehr, dass sie es leichter haben wird als ich. Sie ist hier groß geworden, hat hier studiert, spricht eben fließend Deutsch und ist noch so jung. Letztlich bin ich aber auch optimistisch, dass auch ich meinen Platz in der Berufsfeld in Deutschland wieder finde, ich brauche eben nur die Chance, mich beweisen zu können!

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns und dieses Interview genommen haben und vor allem, dass Sie bereit waren, mit uns Ihre Erfahrungen zu teilen! Das bedeutet uns viel!